blog details

Erste Hilfe bei Ängsten und Scham

Leider kommt es häufig vor, dass Menschen wegen einer nach außen hin sichtbaren Hauterkrankung von ihren Mitmenschen aus Angst vor Ansteckung ausgegrenzt oder sogar gemobbt werden. In der Folge schämen sich die Betroffenen, ziehen sich weiterhin oft von ihrer Umwelt und ihren Mitmenschen zurück und können soziale Ängste und Depressionen entwickeln. Doch dies völlig zu Unrecht! Denn in den allermeisten Fällen sind chronische Hauterkrankungen nicht ansteckend! Und auf der anderen Seite haben wir alle mehrfach die Erfahrung gemacht, dass auch nicht sichtbare Erkrankungen ansteckend sein können! Um der Stigmatisierung bei Hauterkrankungen entgegenzuwirken, braucht es meiner Ansicht nach eine breit angelegte Aufklärungskampagne in der Öffentlichkeit!

Es gibt zum Glück allerdings auch eine wirksame Methode, mit der Betroffene direkt selbst den entstandenen Ängsten, dem Gefühl der Scham und der daraus resultierenden Isolationstendenz entgegenwirken können. Ein kurzer Einschub zum Verständnis: Scham ist eines der unangenehmsten Gefühle überhaupt – wir alle kennen es – und deshalb unterdrücken wir es häufig unbewusst durch alle möglichen Vermeidungsstrategien. Lieber kapseln wir uns völlig ab als uns diesem Gefühl auszusetzen!

Die Tendenz, unangenehme Gefühle lieber wegzudrücken (durch teilweise für die Außenwelt verwunderliche und für die Betroffenen häufig auch schädliche Verhaltensweisen) als auszuhalten gilt allerdings natürlich nicht nur für die Scham.

Die Methode, die ich hier vorstellen möchte, wurde von den amerikanischen Psychologen Dr. Kristin Neff und Chris Germer entwickelt, und setzt sich aus drei Komponenten zusammen: Achtsamkeit, Verbundenheit und freundliche Selbstzuwendung.

Im ersten Schritt, der Achtsamkeit, wenden wir uns ganz bewusst dem unangenehmen Gefühl zu, unter dem wir gerade leiden, hier also der „Scham“. Der innere Dialog dazu könnte folgendermaßen aussehen: „Mir geht´s gerade echt nicht gut. Ich werde ausgegrenzt und schäme mich für mein Aussehen. Am liebsten würde ich gar nicht mehr aus dem Haus gehen!“ Allein sich dieses Gefühl bewusst zu machen, kann schon sehr hilfreich sein, weil wir uns dann nicht mehr komplett damit identifizieren, es gleichzeitig aber auch nicht wegdrücken, sondern uns stattdessen ein kleines Stück weit davon distanzieren und dadurch die Situation schon ein wenig objektiver betrachten können.

Im zweiten Schritt, der Verbundenheit, erinnern wir uns daran, dass wir in unserem Leid nicht alleine sind. Sondern dass es gerade solche Momente des Leidens sind, die uns mit allen anderen Menschen verbinden. Diese Momente gehören zum Menschsein dazu, auch wenn Art und Ausmaß des Leidens natürlich individuell unterschiedlich ausgeprägt sind. Folgendermaßen könnten wir in diesem Sinne innerlich weiter mit uns sprechen: „Aber ja, ich weiß, dass es mir nicht alleine so geht. Unzählig viele Menschen werden ständig ausgegrenzt und zu Unrecht schlecht behandelt.“

Diese bewusste Erinnerung an unser aller Verbundenheit durch unangenehmes, leidvolles Erleben ist ganz wesentlich, denn ansonsten führen negative Gefühle wie Scham, aber auch Angst oder Wut zu einem Tunnelblick mit einer starken Verengung der Wahrnehmung. Wir haben dann das Gefühl, nur uns geht es schlecht, nur wir werden schlecht behandelt und fühlen uns umso isolierter inmitten all der vermeintlich Glückseligen um uns herum.

Der dritte Schritt, die bewusste, freundliche Zuwendung zu uns selbst kann folgendermaßen aussehen: „Möge ich mir jetzt die Akzeptanz und das Verständnis entgegenbringen, das ich mir von anderen gewünscht hätte!“ oder: „Was kann ich jetzt Gutes für mich tun?“, „Was brauche ich jetzt?“ Dabei ist die konkrete Antwort weniger wichtig als die freundliche Hinwendung zu uns selbst und das Signal, dass wir bereit sind, uns gerade in schwierigen Momenten verständnisvoll aufzufangen anstatt uns selbst noch zusätzlich innerlich zu beschimpfen, wie es leider automatisch oft passiert – so wie ich es auch in meinem letzten Blog beschrieben habe. (Ein unreflektierter, automatisch ablaufender innerer Dialog könnte im Vergleich zum Beispiel so lauten: „Ich bin so hässlich. Ich bin echt ein hoffnungsloser Fall! Besser niemand sieht mich mehr und muss mein Äußeres ertragen. Kein Wunder, dass die mich so behandeln. Anders habe ich es wohl nicht verdient.“)

Wem es schwerfällt, auf die oben beschriebene freundlich-verständnisvolle Art und Weise zu sich zu sprechen, der kann sich erstmal vorstellen, er würde mit einem anderen Menschen sprechen, der ihm sehr am Herzen liegt, und dem es gerade schlecht geht.

Verstärken können wir die freundliche Selbstzuwendung, indem wir uns, wenn auch nur für einen kurzen Moment, eine Hand aufs Herz oder auf den Bauch legen oder auch die Arme verschränken, um uns sozusagen selbst eine Umarmung zu schenken.

Auf der biochemischen Ebene bewirken wir hiermit eine verstärkte Ausschüttung von Oxytocin und Endorphinen, den sogenannten „Wohlfühlhormonen“.

Diese Methode nennt sich im Amerikanischen „mindful self-compassion“, die beschriebenen konkreten drei Schritte werden als „self compassion break“ bezeichnet. Die deutschen Begriffe „achtsames Selbstmitgefühl“ oder „Selbstmitgefühlspause“ klingen etwas sperrig. Aber Begrifflichkeiten hin oder her, die Methode ist nachgewiesenermaßen sehr effektiv, um negative Gefühle aller Art und ganz besonders Scham aufzufangen mit den positiven Gefühlen von Verständnis, Selbstfreundlichkeit und Selbstakzeptanz. Es geht dabei nicht darum, das Negative auszulöschen (das würde auch gar nicht funktionieren, sondern es eher noch verstärken), sondern es vielmehr mit einem Mantel der Verbundenheit und Liebe zu umhüllen, womit es automatisch seinen Schrecken verliert. Wir gehen bewusst freundlich mit uns um, WEIL es uns schlecht geht, nicht, DAMIT wir das Unangenehme schnellstmöglich nicht mehr spüren!

Wer ein wenig geübt und sich mit dieser Methode vertraut gemacht hat, wird automatisch selbstbewusster und wird sich (wieder) mehr zutrauen! Allein durch die Erfahrung, dass er/sie sich selbst auffangen kann, was auch immer passieren mag!

Über die Wirksamkeit von „mindful self-compassion“ gibt es inzwischen zahlreiche wissenschaftliche Belege. Auch bei Depressionen hat sie sich bewährt. Wer sich näher mit dem Thema auseinandersetzen will, dem sei das Buch „Selbstmitgefühl“ von Dr. Kristin Neff wärmstens empfohlen oder auch ihre Website www.self-compassion.org.

share

Stand: 2024 - Dr. med. Christiane Miltenburg
*Psychodermatology Diploma Level 1 der European Society for Dermatology and Psychiatry

Nach oben scrollen