Es gibt verschiedene Ansätze, die hilfreich sind, um die komplexen Zusammenhänge zwischen Körper und Psyche besser zu verstehen und aus diesem Verständnis heraus therapeutisch zu nutzen. Einer davon, den ich in meiner psychodermatologischen Praxis gerne nutze, ist die Arbeit mit inneren Anteilen.
Dabei finde ich folgende drei Anteile besonders hilfreich: das innere Kind, den inneren Kritiker sowie den, wie ich ihn gerne nenne, inneren weisen und liebevollen Anteil. Auf diese drei möchte ich nun deshalb ein wenig näher eingehen:
Der innere Kritiker
Viele Patientinnen und Patienten, die ich in meiner Sprechstunde sehe, leiden unter einem stark ausgeprägten inneren Kritiker, den ich auch schon in früheren Blogartikeln näher beschrieben habe. Seine Botschaften sind kalt, fordernd und unbarmherzig und lauten ungefähr so: „Du musst Dich mehr anstrengen!“ „Wie siehst Du denn aus!“ „Schäm Dich!“ „Das hast Du mal wieder nicht hingekriegt!“ „Kein Wunder, dass sich alle von Dir abwenden!“ „Du machst nur Probleme!“
Diese Botschaften wirken oft unbewusst in uns über die Art und Weise, wie wir zu uns selbst sprechen oder auch einfach nur über unsere innere Haltung zu uns selbst.
Wenn der innere Kritiker am Steuer ist und wir seinen Botschaften uneingeschränkt glauben, fühlen wir uns typischerweise minderwertig, niedergeschmettert und ziehen uns nicht selten schamerfüllt von unserer Umwelt zurück. Wir können eine Depression entwickeln und/oder zu Selbstverletzungen neigen.
Wir erleben eine starke innere Anspannung, der Körper reagiert darauf mit einer erhöhten Ausschüttung von Stresshormonen, wodurch wiederum Entzündungsprozesse gefördert werden, die zuerst auf unserer Haut sichtbar werden können.
Das innere Kind
Es steht symbolisch für unsere Wünsche, Bedürfnisse, Sehnsüchte und all unsere Gefühle wie z.B. Angst, Wut und Freude. Es sehnt sich zutiefst nach Sicherheit, Geborgenheit und Annahme, gleichzeitig aber auch nach Spaß und danach, immer wieder Neues zu entdecken.
Risikoeinschätzung und Vernunft sind keine Eigenschaften des inneren Kindes! Deshalb braucht es unbedingt einen Erwachsenen-Anteil, der es an der Hand nimmt und ihm zeigt, wie es seine verschiedenen Wünsche und Bedürfnisse auf eine für sich selbst und für andere gute und gesunde Art und Weise erfüllen kann – oder ob bestimmte Wünsche vielleicht erst mal oder auch komplett zurückgestellt und der Frust darüber ausgehalten werden muss.
Allein gelassen, d.h. ohne diesen inneren Erwachsenen-Anteil, der das innere Kind an der Hand nimmt, verliert es leicht den Überblick, lässt sich von verschiedenen Bedürfnissen oder Befürchtungen mal in die eine, mal in die andere Richtung ziehen, was ganz schön chaotisch werden kann, und es kann sich und anderen dabei unabsichtlich kleinen oder großen Schaden zufügen.
Etliche meiner Patientinnen und Patienten leiden besonders unter einem stark ausgeprägten Angst-Anteil des inneren Kindes. Wenn dazu noch der innere Kritiker ruft: „Stell Dich doch nicht so an!“ oder „Angst ist etwas für Schwächlinge!“ wird diese jedoch auf die Dauer verstärkt!
Der innere weise und liebevolle Anteil
Er wird auch als „gesunder Erwachsenen-Anteil“ bezeichnet. Er ist der umsichtige und vernünftige Anteil in uns, der Gefahren einschätzen und Pro und Contra abwägen kann – genau das also, was das innere Kind alleine nicht kann! Er kennt das innere Kind mit seinen Sehnsüchten, Wünschen und seiner ganzen Gefühlspalette sehr gut. Er nimmt es fest an der Hand und trifft wie eine gute Mutter oder ein guter Vater langfristig gute Entscheidungen – weil ihm das innere Kind so sehr am Herzen liegt! Oft fühlt sich das innere Kind dennoch frustriert und reagiert wütend und enttäuscht, weil ein Wunsch gerade nicht erfüllt werden kann, aber immerhin kann es sich mit diesen schwer auszuhaltenden Gefühlen diesem Anteil zumuten und ihm seine Wut und seinen Frust zubrüllen, wodurch es sich schon ein klein wenig erleichtert fühlt.
Die Botschaften des inneren weisen und liebevollen Anteils sind warm und verständnisvoll, aber gleichzeitig auch von liebevoller Festigkeit und lauten in etwa so: „Ich verstehe, dass das jetzt echt schwierig für Dich ist!“ „Ich bin für Dich da!“ „Ich weiß, Du möchtest das so gerne, aber das geht jetzt nicht!“ „Es ist ganz normal, Fehler zu machen. Passiert Jedem mal, und Du kannst daraus viel lernen!“
Klingt fast zu gut, um wahr zu sein? Viele von uns haben, wenn auch unbewusst, ohnehin einen gut entwickelten inneren gesunden Erwachsenen-Anteil – wenn er in der Kindheit von den prägenden Bezugspersonen vorgelebt wurde.
Leider haben aber auch ganz Viele diesen Anteil nicht oder nur ungenügend vorgelebt bekommen und stattdessen einen umso stärker ausgeprägten inneren Kritiker entwickelt. Vielleicht weil die eigenen Eltern häufiger mit der Stimme des inneren Kritikers als mit einer liebevoll-verständnisvollen Stimme gesprochen haben. Gerade diese Erfahrung führt leider nicht selten zu späteren psychischen Problemen.
Die gute Nachricht lautet: man kann den inneren weisen und liebevollen Anteil zuerst entwickeln und dann trainieren wie einen Muskel: nicht nur durch eine tragfähige Beziehung zwischen Patient(-in) und Therapeut(-in), sondern auch durch ganz praktische Übungen, die sich gut in den Alltag integrieren lassen. Die nachträgliche Ausbildung dieses Anteils nennt man im Englischen übrigens auch „reparenting“.
Zugegebenermaßen ist das Training des „inneren weisen und liebevollen Anteils“ umso schwieriger je weniger man ihn in Form von realen Bezugspersonen in seiner Kindheit erlebt hat. Aber auch wenn es gerade dann anfangs viel Geduld und Zeit erfordert, die Mühe lohnt sich auf jeden Fall!
Je mehr dieser Anteil trainiert wird, desto mehr innere Balance gewinnt man zurück, desto mehr Gelassenheit und psychische Stabilität stellt sich ein. Die Botschaften des inneren Kritikers sind zwar noch zu hören, verlieren aber an Bedeutung und treten in den Hintergrund. Auch die ständige Ausschüttung entzündungsfördernder Stress-Botenstoffe findet ein Ende finden und die Haut kann wieder zur Ruhe kommen.
Den eigenen „echten“ Kindern kann man diesen inneren weisen und liebevollen Anteil übrigens umso besser vorleben und dabei helfen, ihn zu ihrer eigenen inneren Stimme werden zu lassen, je besser man ihn selbst verinnerlicht hat!
Um herauszufinden, ob einer der oben beschriebenen Anteile bei einem selbst immer wieder das Steuer übernimmt und dadurch unsere Haltung zu uns selbst und die Art und Weise, wie wir mit uns sprechen, bestimmt – und falls ja, wie häufig das der Fall ist, empfehle ich, mehrmals am Tag innezuhalten und sich zu fragen: Wie spreche ich gerade mit mir? Wie gehe ich gerade mit mir selbst um – eher fordernd und kalt oder eher verständnisvoll und auf positive Art und Weise motivierend?
Ich lade Alle ganz herzlich dazu ein, sich auf diese Art und Weise nach und nach selbst besser kennenzulernen! Es wird nicht nur unserer Haut zugute kommen!